MANFRED LAUFFS

Rede zu Verabschiedung der Abiturientia 2010 (26.6.2010)

 

RAUMFAHRT

 

Liebe Eltern,

liebe Gäste,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

vor allem aber meine lieben Abiturientinnen und Abiturienten!

 

Sie haben die Schulzeit hinter sich, und ich gratuliere Ihnen herzlich zum Abitur, Sie haben es mit Bravour und einer Erfolgsquote von 100% bestanden!  Zur Belohnung lade ich Sie heute ein, mit mir auf eine Reise im Raumschiff „Abigator 2010“ zu gehen, eine Reise an den Rand des Universums. Wir starten gleich, aber zuvor möchte ich noch unsere Gäste begrüßen, die wir mitnehmen  werden, denn die ganze Aula hat in unserem Raumschiff Platz.

 

Herzlich willkommen heiße ich Herrn Bürgermeister Roland, er darf mit in der Kanzel sitzen, links von der Mitte, auf dem roten Drehsessel. Ich begrüße Herrn Weichelt, unseren Schuldezernenten, und Frau Landmesser als Vorsitzende der Schulpflegschaft sowie ihre Stellvertreter, Frau Werring, Herrn Bösch und Frau El-Meshai. Für Frau Landmesser ist es die letzte Abiturfeier in ihrer Funktion als Schulpflegschaftsvorsitzende. Sie hat dieses Amt seit fünf Jahren mit großem Engagement, mit Tatkraft und Ideenreichtum ausgefüllt und damit zum guten Bild unserer Schule in hervorragender Weise beigetragen, dafür ganz herzlichen Dank und einen Riesenapplaus!  Ich begrüße ebenso Claudia Kotarski, unsere engagierte Schülersprecherin! Ich freue mich ferner über die Anwesenheit von Frau Rietkötter, der Vorsitzenden des Fördervereins, sowie des Ehrenvorsitzenden und ehemaligen Schulleiters, Herrn OStD a.D. Schulteis. Herr Bösch ist der neue stellvertretende Vorsitzende, ich habe ihn schon willkommen geheißen.  Ich begrüße mit Freude die Herren Steffen und Caspari vom Vorstand des Ehemaligenvereins, sie haben Ihnen als Geschenk das Organ des Ehemaligenvereins, die „Heftklammer“, auf den Raumschiffsitz gelegt, ein Mitgliedsantrag ist dabei, und Sie bekommen Ihr Zeugnis heute nur, wenn Sie den unterzeichnen!  Ich freue mich ferner über die Anwesenheit der Vertreter der Presse, die unsere Arbeit stets mit kritischer Sympathie begleiten.

 

Wir haben nach alter Tradition auch wieder ehemalige Schüler eingeladen: Von den Goldabiturienten ist anwesend Herr Wietkamp, mehrere Klassenkameraden sind mitgekommen. Vom Abijahrgang 1985 ist Herr Kahlen aus München angereist. Herzlich willkommen!

 

Ferner begrüße ich Sie, meine verehrten Eltern. Ich gratuliere auch Ihnen und sage Ihnen herzlichen Dank, denn auch Sie haben - in vertrauensvoller Zusammenarbeit  mit uns Lehrerinnen und Lehrern - dafür gesorgt, dass Ihre Kinder erzogen und gebildet wurden, und zugleich aufopfernd das Fünf-Sterne-Hotel „Bei Mama und Papa“ betrieben, nebst hauseigener Taxizentrale.

 

Last but not least begrüße ich Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die Sie wieder einmal mit großem Engagement einen Jahrgang erfolgreich zum Abitur geführt haben. Ganz herzlichen Dank Ihnen allen, besonders dem Oberstufenkoordinator, Herrn Studiendirektor Gerhard Schmidt, der leider aus Krankheitsgründen nicht anwesend ist – er wird hervorragend vertreten durch Frau Oberstudienrätin Ute Bachmann – und dem Jahrgangsstufenleiter, Herrn Oberstudienrat Georg Hoppe, der heute als Abigator-Navigator an Bord dabei sein wird. Und ein herzliches Willkommen auch meinem Stellvertreter, Herrn StD Hans-Christoph Pocha!

 

Bitte schnallen Sie sich an, wir starten! Der schnelle Raumgleiter „Abigator 2010“ hebt ab und bewegt sich mit der Phantasiegeschwindigkeit von 100 Megarats pro Sekunde nach oben – doch die Begriffe oben und unten werden gleich ihre Bedeutung verlieren. In zehn Kilometern Höhe fangen die ersten Schüler an zu singen, es sind die, die in der 8b bei mir Deutsch hatten, Louisa, Janina, Marvin, Matthias und die anderen: „Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein“ von Reinhard Mey, nicht ahnend, wie weit wir noch fliegen!

Die Erde bleibt in 10000 km hinter uns sichtbar. Bedeckt mit einer hauchdünnen Luftschicht, die dünner ist im Verhältnis zu ihr als die Schale im Verhältnis zu einem Apfel, der Planet, der in der habitablen, also bewohnbaren Sphäre schwebt, der einzige, von dem wir wissen, dass es auf ihm Leben gibt, 150 Millionen km von der Sonne entfernt, ganz ideal, nicht zu weit, nicht zu nah, nicht so kalt wie der Mars, nicht so heiß wie die Venus, aber nur auf der Oberfläche: innen dagegen voller Glut, was sich in Erdbeben und Vulkanausbrüchen immer wieder bemerkbar macht. 12000 km Durchmesser, 40000 km Umfang, mit schützendem Magnetfeld, und von hier oben wirkt der blaue Planet unglaublich schön und zerbrechlich, und uns allen wird auf einmal bewusst, dass es vielleicht wichtigere Dinge gibt als einen verschossenen Elfmeter von Poldi oder ein geträllertes Liedchen namens „Satellite“. Wir fliegen weiter und kommen am Mond an, 360 000 km von der Erde entfernt, ein Teil von ihr ursprünglich, denn durch den Zusammenstoß mit einem Impaktor, einem Einschläger, ist Material der noch glühenden Erde ins All gestoßen worden. Woher wissen wir das? Durch Analyse des Gesteins, das die Astronauten 1969 vom Mond mitgebracht haben. Auf dem Erdtrabanten erkennen wir eine Menge buntgekleideter Gestalten, sie halten merkwürdige Instrumente in der Hand. Aha! Es sind Fußballfans, die man mitsamt ihren Vuvuzelas auf den Mond geschossen hat....Wir fliegen weiter und erreichen nach 150 Millionen Kilometern unser Zentralgestirn, die Sonne. Diese Entfernung, auch „eine Astronomische Einheit“ genannt, ist schon riesig. Wenn wir mit einem Auto ununterbrochen in Richtung Sonne fahren würden, sagen wir mit 100 Stundenkilometern, dann wären wir 172 Jahre unterwegs. Gut, dass wir den „Abigator 2010“ haben! Ohne Sonne gäbe es keine Energie auf der Erde, kein Leben, keine Bäume, keine Amöben, keine Dinosaurier, keinen Shakespeare, keinen Mozart,  keine Fußball-WM, kein Ratsgymnasium, kein Abitur. Die Sonne: 300 000  Erdmassen schwer, Durchmesser 1,4 Millionen Kilometer, das Schwerkraftzentrum des Sonnensystems mit seinen Planeten. Ein typischer Stern, eine Kernfusionsmaschine, 4,5 Milliarden Jahre alt, sie hat aber noch dieselbe Zahl von Jahren vor sich; dass wir ihr Ende erleben, ist daher extrem  unwahrscheinlich. Sterne sind gewissermaßen auch nur Menschen, sie haben eine Geburt und sie haben ein Ende. Bei 10 Millionen km sahen wir nichts, aber ab 100 Millionen Kilometer kamen die Planeten ins Blickfeld. Merkur, der hat’s schwer, 500 Grad Temperatur, Venus, auch wahnsinnig heiß, Jupiter: 317 Mal so schwer, fünf Mal so weit von der Sonne entfernt wie die Erde. Der Abstand Erde /Sonne beträgt 8 Lichtminuten, das Licht braucht also 8 Minuten, das Sonnenlicht zum Jupiter braucht 40 Minuten. Wie hoch ist die Lichtgeschwindigkeit? Christina?  (Christina Zejewski antwortet: „300 000 km pro Sekunde!“) Korrekt! Also in einer Sekunde siebeneinhalb Mal um die Erde! Dann kommt der Herr der Ringe, Saturn, und ganz weit draußen Uranus und Neptun, die beiden Eisplaneten, und Pluto. Herr Stein nennt uns den Planeten-Merkvers:Mein Vater erklärt mir jeden Sonntag unsere neun Planeten.
Also: Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun, Pluto.

Wir fliegen dann durch den Kuipergürtel, eine Menge von vielen kleinen Zwergplaneten, Abstand von der Erde: 100 Astronomische Einheiten. (Wir erinnern uns: 1 AE ist der Abstand zwischen der Erde und der Sonne.) Die Pioneer- und Voyagersonden haben 30 Jahre gebraucht, um überhaupt hierher zu kommen!

Wir fliegen durch das Nichts. Da kommt nichts. 1000 AE: nichts!10000 AE: Immer noch nichts. Max Keppner ist schwer entäuscht: Niemand begegnet uns. Kein Raumschiff „Enterprise“ mit Captain Kirk und Mister Spock, kein Traumschiff Surprise mit „Captain Kork und Mr. Spuck“! Keine „Orion“ mit Dietmar Schönherr als Commander McLane! Kein E.T.! Kein Alien! Nichts! 100 000 AE: Jetzt erst, in der so genannten  Orth’schen Wolke, jetzt erst sind wir an der Grenze des Sonnensystems angekommen. Die Gravitation der Sonne ist noch vorhanden. Wir sind 1,58 Lichtjahre von der Erde entfernt. Wir fliegen jetzt durch einen Raum, der so weit vom Ratsgymnasium entfernt ist, dass das Licht anderthalb Jahre braucht, um diese Distanz zu überbrücken. Hier waren noch niemals Menschen. Wir sind die ersten! Bei etwa 4,2 Lichtjahren, also 300000 astronomischen Einheiten, taucht endlich mal wieder ein Stern auf, Proxima centauri. Wenn wir mit der gleichen Geschwindigkeit, mit der die Amerikaner 1969 zum Mond geflogen sind (Wir erinnern uns: „Ein kleiner Schritt für einen Mann, aber ein großer Schritt für die Menschheit“), dann brauchten wir 75000 Jahre! Zum Glück ist unser tapferer „Abigator 2010“ schneller, und wir sind schon da! Ob es hier Leben gibt? Über 370 Planetensysteme sind inzwischen in der Milchstraße gefunden worden. Während diesen Erläuterungen über den Bordlautsprecher isst Christin Keßen genüsslich, dem Anlass angemessen, ein Milky way aus dem CoCa. Denn wir sind mitten in der großen Sterneninsel angekommen, der Milchstraße. Hunderte von Milliarden von Sternen. Eine Scheibe mit Spiralarmen,  mit einem Durchmesser von 100000 Lichtjahren. Wir müssen aufpassen, dass wir jetzt nicht in das schwarze Loch in der Mitte fliegen! Und die Milchstraße ist nur eine von Milliarden Galaxien, zu denen sich alle Sterne des Weltraums arrangiert haben. Wir fliegen weiter durch unvorstellbar riesige  Räume, zu den beiden Magellanschen Wolken und zwei Dutzend weiteren kleinen Galaxien, die alle zusammen zur Lokalen Gruppe gehören. Wir passieren Löwe 1, Löwe 2, den Drachen und den kleinen Bären, und als wir in der großen Magellansche Wolke ankommen, sind wir 170 000 Lichtjahre von der Erde entfernt. Unsere Nachbarin, die Andromeda-Galaxie, ist noch weiter weg, sie hat einen Abstand von knapp drei Millionen Lichtjahren zur Erde. Von der Erde aus könnten wir sie am Nachthimmel gerade noch als kleinen blassen Fleck im Sternbild Andromeda erkennen – dabei beheimatet sie mehr als 3 Milliarden Sonnen. Die ganze Lokale Gruppe bewegt sich mit einer Geschwindigkeit von mehr als 400 km pro Sekunde in Richtung einer noch größeren Massenkonzentration im Universum, des Galaxienhaufens, den die Astrophysiker auch den Lokalen Superhaufen nennen. Und hier durchqueren wir mit unserem Raumschiff Abstände von mehreren hundert Millionen Lichtjahren, es wird alles immer riesiger und für unser Gehirn immer schwerer fassbar, entsprechend weit sind unsere Augen geöffnet, und an Verpflegung (aus dem CoCa mitgebracht), denkt im Moment niemand an Bord. Wir bewegen uns auf ein Gebiet zu, wo zig Tausende Galaxien warten, immer noch wirkt die Gravitation, die Schwerkraft, die das Universum regiert, das sich ständig ausdehnt. Und endlich erreichen wir die Grenzen des Universums, Abstand zur Erde 10 hoch 26 oder 10 Milliarden Lichtjahre. Wir erinnern uns: Ein Lichtjahr bedeutet schon: 9,46 Billionen km. Jetzt also: 9,6 Billionen mal 10 Milliarden! Mehr werden wir nie zu sehen kriegen. Das ist unser Horizont. Der Rand der erkennbaren Wirklichkeit. Das ganze Universum – ein riesiger Schwamm: große leere Blasen, jeweils 150 Millionen Lichtjahre dick, umhüllt von Wänden und Fäden, bestehend aus den Superhaufen. Eine Wahnsinnsreise! Und während unser Raumschiff sich wieder in Richtung Milchstraße, Sonnensystem, Erde, Europa, Deutschland, Gladbeck, Mittelstraße, Aula bewegt, erklären uns die mitgereisten Physiklehrer, dass die Wissenschaftler aus den Beobachtungen des Weltalls Theorien entwickeln über die Entstehung der Erde durch einen Urknall.

Uff! Wir sind sanft mit dem „Abigator 2010“ gelandet, noch ganz benommen von den phantastischen Eindrücken, die hinter uns liegen.

 

Warum habe ich diese Reise mit Ihnen gemacht?

 

  1. Weil ich möchte, dass auch Sie staunen:  Der unglaubliche Zufall, die Tatsache, dass Materie sich auf einem kleinen Staubkörnchen wie der Erde zu einer denkenden Struktur verdichten kann, das forschen und fragen und sich wundern kann, wie wir Menschen, das ist ein Geheimnis und ein Wunder.
  2. Weil Sie sich heute noch einmal an die vergangenen Schuljahre erinnern sollen: an das Forschen und Fragen, an das gemeinsame Lernen, an die Glücks- und Erfolgsgefühle, wenn man etwas Neues gelernt, begriffen, verinnerlicht, erlebt hatte.
  3. Weil manches was uns groß und wichtig erscheint – so heißt es bei Reinhard Mey – in einer anderen Perspektive doch „nichtig und klein“ ist.
  4. Weil ich vor zwei Wochen eine wunderbare DVD für die Schule angeschafft und mir angesehen habe: „1026 bis 10-35 – Universum und Quanten“ von Professor Dr. Harald Lesch, dem ich viele Details meiner Rede verdanke. Ich wollte Sie an meiner Begeisterung teilhaben lassen.
  5. Weil ich Ihnen das Zitat aus Dürrenmatts „21 Punkten“ zu seinem Stück „Die Physiker“ noch einmal ans Herz legen möchte: „Der Inhalt der Physik geht die Physiker an, die Auswirkung alle Menschen.“

 

 

Aristoteles hat gesagt: „Das Staunen, die Wissbegier gehört zum Menschen“.
Bewahren Sie sich diese Wissbegier! Ich danke Ihnen dafür, dass Sie diese Schule menschlich gemacht haben. Ich danke Ihnen für Ihr vielfältiges Engagement, das unser Schulleben immer wieder bereichert hat, von der politischen Arbeit in der SV und die Mentorentätigkeit über die journalistische Aktivität in der Schülerzeitung RATSIA, Ihre Siege in künstlerischen Wettbewerben und Sportwettkämpfen, die Mithilfe bei der Gestaltung des Schulgebäudes und Ihre Gastfreundschaft gegenüber ausländischen Besuchern bis zur Mitwirkung in den vielen schönen Theaterstücken und Schulkonzerten. Und ich wünsche Ihnen, dass Sie mit unserem „Abigator 2010“ noch viele Reisen machen werden, allein oder in Gruppen oder als Stufe. Reisen zu beruflichen Abenteuern, in die Welt der Wissenschaften, in die Höhen der Literatur, Reisen zum Liebesplaneten (diese am besten zu zweit), Reisen in die Zukunft und in die Vergangenheit und in die Phantasie. Der „Abigator 2010“ steht hier immer bereit. Ihr Abiturzeugnis gilt als Führerschein. Voranmeldung bitte im Sekretariat bei Frau Hesse. Gute Reise!