MANFRED LAUFFS

Rede zu Verabschiedung der Abiturientia 2009 (27.6.2009)

 

 

GLÜCK

 

 

 

Liebe Eltern,

liebe Gäste,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

vor allem aber meine lieben Abiturientinnen und Abiturienten!

 

"Ist das nicht erstaunlich? Wir haben die Freiheit, unser Glück zu suchen, und die Chance, es hier und da zu finden, auf diesem seltsamen Planeten, der mit 107000 Stundenkilometern elliptisch um eine ferne Sonne rast, einsam in einem Universum aus Milliarden toten Sternen, bebend, feuerspeiend, von Wirbelstürmen überzogen und dennoch von kriechendem Leben bedeckt.“ Mit diesen Sätzen beginnt das Buch „Glück! Eine etwas andere Gebrauchsanweisung“ von Wolf Schneider. Aber was ist das für ein Leben? Gefressen zu werden ist das häufigste Schicksal aller Tiere auf Erden, Millionen Krebse und Tintenfische sind nur auf der Welt, um im Maul eines hungrigen Wals zu verenden. Plötzlich irgendwo ein Lachen, ein Jubelschrei! Das hat der Mensch in dieses Jammertal hineingetragen. Aber er jubelt nicht oft. Die meisten Menschen waren zu allen Zeiten arm, elend, hungernd, hinkend, getreten, und die halbe Menschheit ist es noch heute. Sigmund Freud sagt: „Die Absicht, dass der Mensch glücklich sei, ist im Plan der Schöpfung nicht enthalten“.

 

Aber man kann den Plan der Schöpfung – falls es ihn gibt – ab und zu überlisten. Z.B. heute. Sie, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, sind Glückspilze, Sie haben die Schulzeit hinter sich, und ich gratuliere Ihnen herzlich zum Abitur, Sie haben es mit Bravour und einer Erfolgsquote von 100% bestanden! Ihre Eltern sind glücklich, Ihre Lehrer sind glücklich, Ihre Freunde sind glücklich. Bevor ich dem Thema „Glück“ noch ein bisschen auf die Spur kommen werde, möchte ich aber zunächst unsere Gäste begrüßen.

 

Herzlich willkommen heiße ich Herrn Bürgermeister Roland, Herrn Weichelt, unseren Schuldezernenten, und Frau Landmesser als Vorsitzende der Schulpflegschaft sowie ihre Stellvertreter, Frau Werring, Herrn Bösch und Frau El-Meshai, ebenso Christin Keßen, unsere engagierte Schülersprecherin! Ich freue mich ferner über die Anwesenheit von Frau Rietkötter, der Vorsitzenden des Fördervereins, sowie ihres Stellvertreters und unseres ehemaligen Schulleiters, Herrn OStD a.D. Schulteis. Herzlich willkommen auch Pfarrer Müller von der Johannesgemeinde! Ich begrüße mit Freude Herrn Berger vom Vorstand des Ehemaligenvereins, er hat Ihnen als Geschenk das Organ des Ehemaligenvereins, die „Heftklammer“, auf den Stuhl gelegt, ein Mitgliedsantrag ist dabei, und Sie bekommen Ihr Zeugnis heute nur, wenn Sie den unterzeichnen!  Ich freue mich ferner über die Anwesenheit der Vertreter der Presse, die unsere Arbeit stets mit kritischer Sympathie begleiten.

Wir haben nach alter Tradition auch wieder ehemalige Schüler eingeladen: Von den Goldabiturienten ist anwesend Herr Kaspari, mehrere Klassenkameraden sind mitgekommen. Vom Abijahrgang 1984 ist Frau Dr. Kleinschnittker erschienen. Herzlich willkommen!

 

Ferner begrüße ich Sie, meine verehrten Eltern. Ich gratuliere auch Ihnen und sage Ihnen herzlichen Dank, denn auch Sie haben - in vertrauensvoller Zusammenarbeit  mit uns Lehrerinnen und Lehrern - dafür gesorgt, dass Ihre Kinder erzogen und gebildet wurden, und zugleich aufopfernd das Fünf-Sterne-Hotel „Bei Mama und Papa“ betrieben, nebst hauseigener Taxizentrale.

 

Last but not least begrüße ich Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die Sie wieder einmal mit großem Engagement einen Jahrgang erfolgreich zum Abitur geführt haben. Ganz herzlichen Dank Ihnen allen, besonders dem Oberstufenkoordinator, Herrn Studiendirektor Schmidt, und der Jahrgangsstufenleiterin, Frau Studienrätin Bachmann, für die Oberaufsicht im Rotstiftmilieu.

 

Mit diesen beiden haben Sie, liebe Abiturientinnen und Abitirienten, großes Glück gehabt, und damit bin ich wieder beim Thema. Das boomt im Moment, das ist ein wahrer Hype. Die Späßesammlung „Glück kommt selten allein“ vom Comedian Dr. Eckart von Hirschhausen ist seit Monaten auf der SPIEGEL-Bestellerliste und hat eine verkaufte Auflage von 500000. Der Internet-Buchändler Amazon bietet 1500 deutschsprachige Bücher mit dem Wort „Glück“ im Titel an, darunter zahlreiche Ratgeber. Gibt man bei Google das Suchwort „Glück“ ein, liefert die Suchmaschine 25 Millionen Einträge. Mehrere Schulen setzen das Fach „Glück“ auf den Stundenplan: Man kann ein Schuljahr lang Übungen im Loben von Mitschülern machen, gemeinsam kochen und philosophieren. Ein bisschen Statistik sei erlaubt: Auf die Frage „Wie schätzen Sie Ihr Leben alles in allem ein? Sind Sie gegenwärtig sehr glücklich?“ sagen 19 % Ja, „ziemlich glücklich“: 62 %, „weniger glücklich“: 15 %, „unglücklich“: 3 %.    71 % der über 18-Jährigen Deutschen halten „gute Gesundheit“ für die wichtigste Grundlage ihres Lebensglücks, an zweiter Stelle erscheinen „Freunde, auf die man sich verlassen kann“, (38%), an dritter steht eine gute sichere Arbeit (37%), an vierter eine erfüllte Liebesbeziehung“ (30%), auf dem 5. Platz folgt mit 16 % „genügend Geld“. Im Ranking der so genannten Weltkarte des Glücks, durchgeführt von der Universität Leicester, stehen Dänemark, die Schweiz und Österreich auf den ersten drei von 178 Plätzen, Schlusslichter sind die afrikanischen Länder Burundi und Simbabwe. Nur mäßig happy sind wir Deutschen auf Platz 35.

 

Bei genauerer Betrachtung muss man zunächst die Bedeutungen unterscheiden, die das Wort „Glück“ im Deutschen hat: a) im Sinne von „Glück haben“, b) im Sinne von „Glück empfinden“. „Glück haben“, das bedeutet, durch einen Zufall begünstigt sein, z.B. bei einem Lottogewinn, oder wenn man einen Unfall vermieden hat. Hier entspricht „Glück“ dem englischen „luck“. „Glück empfinden“ ist etwas anderes, es kann ein kurzer Moment sein (englisch: „pleasure“), Beispiele: Sex haben, etwas Gutes essen, eine Sache gut abgeschlossen haben. Oder es kann ein dauerhaftes Gefühl sein (englisch: „happiness“): Beispiele: glückliche Ehe, Zufriedenheit im Leben. Das Streben nach Glück scheint ein allgemein menschliches Merkmal zu sein und hat ja sogar als originäres individuelles Freiheitsrecht (Pursuit of Happiness) Eingang gefunden in die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika. „Einigkeit und Recht und Freiheit“ heißt es in unserer Nationalhymne, „sind des Glückes Unterpfand“ – vor zwanzig Jahren, nach dem Fall der Mauer und im Zuge der Wiedervereinigung, als unzählige Menschen vor Glück weinten, gewannen diese Worte eine ganz besondere Bedeutung.

 

Medizinisch bzw. neurobiologisch betrachtet sind es die Botenstoffe Dopamin und Serotonin, die Glücksgefühle auslösen. Man kann natürlich Sport treiben und Schokolade essen, um die Ausschüttung dieser Stoffe anzuregen. Aber man kann nur sehr begrenzt mit dem Verstand und dem Willen Glück erzeugen. Das Glück ist eine launische Diva, es lässt sich nicht erzwingen. Der Dramatiker Nestroy definiert: „Das Glück ist eine leichtfertige Person, die sich stark schminkt und von ferne schön ist.“ Das Glück ist manchmal nur „ein Hauch, ein Husch, ein Augenblick“, wie der Philosoph Friedrich Nietzsche sagt. Aber dann schreibt er polemisch: „Der Mensch strebt nicht nach Glück, nur der Engländer tut das.“

 

Ich gebe Ihnen nun acht Ratschläge mit auf den Weg, die mir bei der Lektüre der letzten Tage als die wichtigsten erscheinen. Sie betreffen Ihren Weg zum Glück. Sicher gehört zum Glück die große Liebe hinzu. Das Sprichwort weiß: „Glück ist das Einzige, was sich verdoppelt, wenn man es teilt.“ Wie man die große Liebe findet, dafür gibt es allerdings keine Regel. Der Komiker Peters Sellers sagte: „Was Glück ist, weiß man erst, wenn man geheiratet hat. Und dann ist es zu spät.“ Also jetzt die Regeln:

 

1. Tun Sie etwas Sinnvolles. In Ihrem Beruf, in Ihrer Familie, in einer Gruppe. Suchen Sie sich positive Ziele, die Sie begeistern. In Erwartung dieser Ziele schüttet das Gehirn Botenstoffe aus, die Sie Lust erleben lassen. Erreichen Sie die Ziele. Sie werden dann Erfolg haben und Anerkennung, stolz darauf sein (wie jetzt nach dem Abitur) und damit glücklich. „Die besten Momente im Leben“, schreibt der Glücksforscher Mihaly Csikstentmihalyi, „ereignen sich gewöhnlich, wenn Körper und Seele bis an ihre Grenzen angespannt sind, in dem Bestreben, etwas Schwieriges und Wertvolles zu erreichen.“

 

2.     Bewegen Sie sich! Das gehört zur Grundthese des Buches „Die Glücksformel“ von Stefan Klein. Im Internet unter „psychotipps.com“ steht: „Wir sorgen dafür, dass Glückshormone freigesetzt werden. (...) Bewegung und Sex sind wichtige Faktoren, die guten Gefühlen den Weg ebnen. Es genügt regelmäßiges Ausdauertraining von einer halben Stunde dreimal pro Woche. (Ist da jetzt Bewegung oder Sex gemeint?) Auch Tanzen ist eine wunderbare Möglichkeit, sein körperliches Wohlbefinden zu steigern.“

 

3.     Achten Sie darauf, dass das Glück überall lauert! Manchmal muss man sich nur umschauen oder sich Dinge bewusst machen, die man für selbstverständlich hält. Das Glück existiert ebenso wie die Schönheit nur in den Augen des Betrachters. Entscheiden Sie also selbst, was für Sie Glück bedeutet. Denn das Glück liegt in Ihrer Hand. „Glück hängt nicht davon ab, wer du bist oder was du hast; es hängt nur davon ab, was du denkst“, sagt Dale Carnegie. Zufrieden und glücklich sein heißt nicht, keine Probleme zu haben. Es bedeutet, dass man lernt, mit ihnen umzugehen. In unserer Schulleiterfortbildung in den 90er Jahren haben wir den Spruch verinnerlicht: „Probleme sind unsere Freunde“. Und über den Witz gelacht: „Mutti, Mutti, ich will nicht in die Schule!“ – „Sei still, Kind, Du musst hin, schließlich bist du der Direktor!“

 

4.     Carpe diem! Pflücke den Tag! Unvergessen die Szene aus dem Film „Der Club der toten Dichter“. Der neue Lehrer Keating zeigt seinen Schülern die uralten Klassenfotos in den Schaukästen und sagt: „Betrachten Sie bitte diese alten Fotos aufmerksam. Derselbe Haarschnitt und vor Hormonen strotzend genau wie Sie. Unbesiegbar, wie Sie sich sehen. Die Welt steht ihnen offen, sie glaubten, Sie seien für Großes bestimmt, ebenso wie viele von Ihnen. ... Denn sehen Sie, Gentlemen, diese Jungs dienen jetzt den Narzissen als Dünger. Carpe diem! Nutze den Tag. Macht etwas Außergewöhnliches aus Eurem Leben, Jungs!“

 

5.     Gönnen Sie sich was! „Mer muss jünne künne“, heißt der hübsche Spruch in Köln: Gönnen muss man können, nicht von Neid zerfressen sein. Also: Sei gut zu Dir! Verwöhne Dich ein bisschen! Theodor Fontane würdigte in einem Brief an Theodor Storm „die nahen Beziehungen zwischen Menschglück und Putenbraten“. Aber wo ist die Grenze zwischen Schwelgerei und – Fettleibigkeit, Herzinfarkt, Zuckerkrankheit? Die Ratgeber sind sich einig: Man soll im Allgemeinen mäßig leben. Aber einmal in der Woche kann man prassen. Das ist unschädlich für den Körper und ein Genuss für die Seele.

 

6.     Pflegen Sie die Kontraste! „Nichts ist schwerer zu ertragen, als eine Reihe von guten Tagen“, sagt Goethe. Glück schafft allein der Kontrast: also der Gegensatz zu dem, was vorher war. Zufriedenheit ist immer komparativ, man vergleicht sich mit anderen und mit sich selbst in anderen Situationen. Und wäre nicht selbst das ewige Paradies eine Hölle? Was interessiert es mich, meinen Urvater vor 6000 Jahren wieder zu treffen? In der Geschichte von Ludwig Thoma nimmt der „Münchner im Himmel“ entsetzt Reißaus: Als Engel muss er den ganzen Tag Hallelujah singen und frohlocken, und es gibt da nur Manna statt Bier.

 

7.     Pflegen Sie Kontakte! Der Mensch ist ein zoon politicon, ein gesellschaftliches, aber auch geselliges Wesen. Gehen Sie in Vereine, Clubs, Parteien, Kirchengemeinden. Pflegen Sie Ihre Hobbys gemeinsam mit anderen Gleichgesinnten. Wie sehr Sie die Gemeinschaft schon pflegen, zeigt die tolle Zusammenarbeit in Ihrer Stufe. Man kann darüber eine Menge in Ihrer Abizeitschrift mit ihren ca. 4500 Danksagungen lesen.

 

8.     Pflegen Sie die Erinnerung. Was früher schön war und glücklich machte, lebt weiter im Gedächtnis und erfreut im Leben immer wieder. Negative Erlebnisse werden verklärt. Schmerzen lindern sich durch den Akt des Erinnerns. Legen Sie ein privates Museum an aus Fotos, Briefen, Tagebüchern, Haarlocken, Eintrittskarten. „Heute im Alter von 72 Jahren“ schreibt Casanova, „da ich sagen kann ‚Ich habe gelebt’ (obwohl ich noch atme) wüsste ich mir keinen angenehmern Zeitvertreib, als mich mit einen eigenen Erlebnissen zu unterhalten.“  Erinnern Sie sich z.B. an die schöne Zeit am Ratsgymnasium. Und kommen Sie manchmal an die Schule zurück, damit wir erfahren, für welche glücklichen Karrieren wir die Grundlagen gelegt haben.


Wir kommen zum Happy End meiner Rede. Ich danke Ihnen für Ihr vielfältiges Engagement, das unser Schulleben immer wieder bereichert hat, von der politischen Arbeit in der SV und die Mentorentätigkeit über die journalistische Aktivität in der Schülerzeitung RATSIA, Ihre Siege in künstlerischen Wettbewerben und Sportwettkämpfen, die Mithilfe bei der Gestaltung des Schulgebäudes und Ihre Gastfreundschaft gegenüber ausländischen Besuchern bis zur Mitwirkung in den vielen schönen Theaterstücken und Schulkonzerten. Dies hat das Glücksniveau unserer Schule wesentlich erhöht.

 

Don’t worry, be happy!