Manfred Lauffs: Abiturrede 16.6.2007 

 

WILHELM BUSCH

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

liebe Eltern, liebe Gäste,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

vor allem aber meine lieben Abiturientinnen und Abiturienten!

 

„Also lautet ein Beschluss: / Dass der Mensch was lernen muss. / - Nicht allein das ABC / bringt den Menschen in die Höh’; / Nicht allein im Schreiben, Lesen / Übt sich ein vernünftig Wesen; / Nicht allein in Rechnungssachen / Soll der Mensch sich Mühe machen; / Sondern auch der Weisheit Lehren / Muss man mit Vergnügen hören!“

Sie alle kennen diese Verse aus dem Vierten Streich von „Max und Moritz“, der eine oder andere vielleicht sogar auswendig, und Sie alle haben den besagten Beschluss befolgt. Sie, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, haben die Schulzeit nun hinter sich, und ich gratuliere Ihnen herzlich zum bestandenen Abitur, Sie haben es mit Bravour geschafft! Der Weg dorthin war manchmal STEINig und STACHlig, bisweilen ging es über Ge-RÖLL, der eine oder die andere hat sich während des LAUF(F)S auch mal verSCHÄTZELt, aber Sie haben FRITSCH und munter weitergemacht und nie die APPELHOFFnung verloren, Sie sind jetzt am Ziel, und Ihnen wird klar: Es gibt für Sie auch ein Leben jenseits von EDE! Und ist es Ihnen nicht auch bewusst, wie schnell die neun Jahre vergangen sind? Ich sehe euch noch vor mir, den kleinen Daniel, der mich ganz ängstlich  anschaute, die kleine Sarah, die hier vor den Abiturienten ein Gedicht aufsagte wie heute der Julius, und die vielen kleinen Schülerinnen und Schüler, die bei Thomas Gottschalk im Fernsehquiz mit ihrem Schulwissen 3000 DM in die Klassenkasse spülten! „Einszweidrei im Sauseschritt /Läuft die Zeit, wir laufen mit!“, heißt es bei Busch in der Geschichte „Julchen“.

Bevor ich mich aber dem großen Humoristen Wilhelm Busch zuwende, darf ich unsere Gäste begrüßen.

Herzlich willkommen heiße ich Frau Stellvertretende Bürgermeisterin Seifert und Frau Landmesser als Vorsitzende der Schulpflegschaft. Selina Yek, unsere engagierte Schülersprecherin, ist leider erkrankt, gratuliert euch aber von Herzen! Ich freue mich ferner über die Anwesenheit von Frau Rietkötter, der Vorsitzenden des Fördervereins, sowie ihres Stellvertreters und ehemaligen Schulleiters, Herrn OStD a.D. Schulteis. Und ich begrüße herzlich die Vertreter der Presse, die unsere Arbeit stets mit kritischer Sympathie begleiten.

Wir haben nach alter Tradition auch wieder ehemalige Schüler eingeladen: Von den Goldabiturienten ist anwesend Herr Steffen, mehrere Klassenkameraden sind mitgekommen, z.B. Herr Stritzke, unter dessen Deutsch-Abiturarbeit vor 50 Jahren der wunderbar komische Satz stand: „Stritzke zeigte eine für seine Verhältnisse ungewöhnliche Tiefe!“ Herr Steffen ist zugleich anwesend in seiner Funktion als Vorsitzender des  Ehemaligenvereins. Er hat Ihnen als Geschenk die Zeitschrift des Ehemaligenvereins, die „Heftklammer“, auf den Stuhl gelegt, ein Mitgliedsantrag ist dabei, und Sie bekommen Ihr Zeugnis heute nur, wenn Sie den unterzeichnen! - Vom Abijahrgang 1982 ist Barbara Buschow gekommen, damals hieß sie Barbara Laue – herzlich willkommen!

Last but not least begrüße ich Sie, meine verehrten Eltern. Ich gratuliere auch Ihnen und sage Ihnen herzlichen Dank, denn auch Sie haben - in vertrauensvoller Zusammenarbeit  mit uns Lehrerinnen und Lehrern - dafür gesorgt, dass Ihre Kinder erzogen und zugleich gebildet wurden. Wie schön, dass Sie den Humor dabei nicht verloren haben!

Wie gehen die oben zitierten Verse über das Lernen weiter? „Dass dies mit Verstand geschah, / War Herr Lehrer Lämpel da“. Mein Dank gilt natürlich auch meinen Kolleginnen und Kollegen, die unsere Abiturientinnen und Abiturienten auf dem Weg von Klasse 5 bis Klasse 13 geleitet und begleitet haben. Sie alle haben daran mitgearbeitet, Ihnen das Wissen und die Bildung zu vermitteln, die nötig sind, um die mit dem Abitur verbundenen Qualifikationen zu erlangen. Als Schulleiter bedanke ich mich für das große Engagement des Kollegiums und nenne stellvertretend Ihren Jahrgangsstufenleiter, Herrn Oberstudienrat Georg Hoppe, und den Oberstufenkoordinator, Herrn Studiendirektor Gerhard Schmidt.

Wilhelm Busch, meine Damen und Herren, dessen Geburtstag sich zum 175. Mal jährt, ist zweifellos einer der größten Humoristen der deutschen Literatur. Seine Werke sind unsterblich. Sie stehen in jedem Bücherschrank. Seine Verse sind Volksweisheiten geworden: „Das Gute, dieser Satz steht fest, / ist stets das Böse, was man lässt“. Oder: „Es ist ein Brauch von alters her: / Wer Sorgen hat, hat auch Likör!“Oder, wirklich genial: „Rosen, Tanten, Basen, Nelken / sind genötigt zu verwelken“. Oder: „Musik wird oft nicht schön gefunden, / Weil sie stets mit Geräusch verbunden“. Das passt heute weniger: Herzlichen Dank an Herrn Grimm und das Orchester! „Rotwein ist für alte Knaben / eine von den besten Gaben.“ – als Tipp für diejenigen, die noch nicht wissen, was sie den Herren Rüther, Hoenig und Gerhard nächste Woche zum Abschied schenken sollen. Fast jedes Kind kennt die Streiche von Max und Moritz, die Geschichten von Maler Klecksel, dem verhinderten Dichter Balduin Bählamm und Hans Huckebein, dem Unglücksraben. Wilhelm Busch hat uns die Gesellschaft des 19. Jahrhunderts en miniature dargestellt, mit ihren eingebildeten Bürgern, kauzigen Bauern, religiösen Frömmlern. Seine Bildgeschichten sind Vorläufer der heutigen Comics, sie enthalten bereits verschiedene Perspektiven, Mehrfachzeichnungen von Körperteilen, um Bewegung auszudrücken, Schweißtropfen um die Köpfe herum, karikaturistisch vergrößerte Augen und Nasen. Und die entsprechende Lautmalerei wie in diesen köstlichen Versen, die eine vom Kamin gefallene Figur beschreiben: „Ach, - Die Venus ist perdü - / Klickeradoms! - von Medici!“ So bringt er uns Leser immer noch zum Lachen, auch wenn die dargestellte Welt oft ganz anders ist als unsere heutige.

Eine zerbrochene Figur reicht Busch selten. Die Katastrophen haben die Tendenz zum Lawinenhaften. Schnell versinkt die heile Welt im heillosen Chaos. Körperteile wie Nasen und Ohren werden abgeklemmt, lang gezogen, abgetrennt. Die Ordnung wird durch Explosionen gesprengt wie bei Max und Moritz und ihrem Lehrer Lämpel. Der Kontrast aber zwischen diesen Vernichtungsorgien und den wohlgeformten, ironischen Reimen, in denen sie geschildert werden, der bewirkt eine Komik, wie sie in der deutschen Literatur fast einmalig ist.Albert Einstein urteilte: „Wilhelm Busch, insbesondere der Schriftsteller Busch, ist einer der größten Meister stilistischer Treffsicherheit. Ich denke - außer vielleicht Lichtenberg - hat es keinen Ebenbürtigen in deutscher Sprache gegeben.“ Und der Zeichner Thomas Theodor Heine lobte sein großes Vorbild: „Busch ist der eigentliche Erfinder der zeichnerischen Kurzschrift. Ich weiß keinen Vorgänger, dem es gelungen wäre oder der auch nur versucht hätte, in so knappen Strichen das Leben einzufangen, durch einen einfachen Federzug so unerhört gesteigerte Bewegung, so unvergessliche Typen mitsamt der ihnen zukommenden Umgebung auf einem kleinen Blättchen Papier hervorzuzaubern. Das ist höchste Vollendung des Handwerks, dass kein Tropfen Schweiß an dem fertigen Werk zu kleben scheint.“

Vielleicht sind die frühen Slapstickfilme mit Stan Laurel und Oliver Hardy mit Buschs Geschichten vergleichbar. Wenn die beiden als Dick und Doof ein Haus in Schutt und Asche legen, dann spürt man den anarchistischen Geist Buschs. Inwiefern? Weil Busch mit der Philosophie Schopenhauers im Hinterkopf alle angreift, Staat und Kirche, das biedermeierliche, spießige Bürgertum, das Getue um Treu und Redlichkeit und Entlohnung im Himmel. Das alles lässt Busch lustvoll in Scherben gehen. Und formuliert sarkastisch: „Ja, selig ist der gute Christ, / wenn er nur gut bei Kasse ist.“

Wie entsteht eigentlich Humor? Busch hat sich dazu in einem Brief geäußert: „Man lacht, wenn man andere in Verdrießlichkeiten und kleinen Malheurs bemerkt, wenn man ihre Verstellung, ihre Pfiffigkeit, ihre Einfalt durchschaut; denn da fühlt man sich verhältnismäßig so wohl und gescheidt, dass es ein rechtes Vergnügen ist.“ In seiner Autobiographie schreibt er: „Lachen ist ein Ausdruck relativer Behaglichkeit. Der Franzel hinterm Ofen freut sich der Wärme umso mehr, wenn er sieht, wie sich draußen der Hansel in die rötlichen Hände pustet. Zum Gebrauch in der Öffentlichkeit habe ich jedoch nur Phantasiehanseln genommen. Man kann sie auch besser herrichten nach Bedarf und sie eher tun und sagen lassen, was man will.“

Das Leben Buschs war übrigens wenig aufregend. Mit neun Jahren wurde der kleine Wilhelm seinem Onkel Georg in Ebergötzen zur Erziehung übergeben, einem tüchtigen Pfarrer und Pädagogen, der ihn in die Welt der Literatur einführte. Nach dem Besuch der Polytechnischen Schule in Hannover studierte er Malerei in Düsseldorf und Antwerpen. Er sammelte Märchen, Sagen, Volkslieder und Kinderverse. Er skizzierte Landschaften, Bauernhäuser, Tiere und Menschen. Er studierte nach einer Erkrankung weiter an der Königlichen Akademie der Künste in München.  Der Verleger der satirischen Wochenschrift „Fliegende Blätter“, Caspar Braun, hat ihn gewissermaßen entdeckt. Für ihn zeichnete Busch die ersten satirischen Bildgeschichten, endlich verdiente er Geld, das war 1859. Einige Jahre später, 1865, kam der Riesenerfolg mit „Max und Moritz“, der „Bubengeschichte in sieben Streichen“. Busch war 33 Jahre alt. Eigentlich sind die Streiche dieser Buben nicht so beschaffen, dass sie dafür sterben müssten. Sie legen dem Onkel Käfer ins Bett, sie stehlen der Witwe Bolte ihre Hühner, sägen Brücken an. Den Lehrer Lämpel behandeln sie mit ihrer Pfeifenexplosion allerdings schon sehr grob: zu konstatieren sind Sachbeschädigung und Körperverletzung. Die Gesellschaft damals fand es richtig, dass Kinder Gesetz und Ordnung unbedingt zu achten hätten. Busch aber ist auch voller Ironie gegenüber Vertretern dieser Gesellschaft, den Spießern, die sich in ihrer Behaglichkeit eingerichtet hatten und nicht gestört werden wollten. Lehrer Lämpel ist, wie schon der Name sagt, ein kleines Licht. Der „gute“ Onkel Fritz wird zum Berserker, nur weil man seine Nachruhe stört, und der „fromme“ Bäcker und der „brave“ Bauer greifen bei kleinsten Übergriffen auf ihr Eigentum zur brutalen Selbstjustiz. Das dürften auch junge Leser merken.

Der Verleger war jedenfalls mit diesem Buch saniert, Busch selbst erhielt nur die bescheidene Summe von 1000 Gulden. In über vierzig Sprachen wurde der Text übersetzt. 1870 bereits ins amerikanische Englisch. In regelmäßigen Abständen ließ Busch nun Geschichten erscheinen, wie „Hans Huckebein“, „Die fromme Helene“, oder „Fipps der Affe“. Damit wurde er zum Volksschriftsteller. Später kehrte er in seinen Geburtsort Wiedensahl zurück und kümmerte sich um seine verwitwete Schwester und ihre Kinder. Noch einmal zog er um: zu seinem Neffen, der ein Pfarrstelle in Mechtshausen im Harz bekam. Hier starb Busch am 9. Januar 1908. Im nächsten Jahr also wird Buschs 100. Todestag begangen. Das ist übrigens praktisch, denn ich könnte diese Rede bei der nächsten Abiturentlassungsfeier noch einmal halten!

Meine Damen und Herren, ich wollte Sie anlässlich des 175. Geburtstages an die Kunst dieses großen Humoristen erinnern, verbunden mit der Aufforderung, seine gesammelten Werke aus Ihrem Bücherschrank wieder in die Hand zu nehmen und zu lesen. Und ich wollte die Wichtigkeit des Humors im Leben allgemein und in der Schule speziell noch einmal unterstreichen. Sie haben es ja selbst in Ihrer Schulzeit erlebt. Ihre Abizeitung ist voller lustiger Erinnerungen, Fotos und Sprüche. Und druckfrisch kam heute das Heft „Rats macht Spaß, Band II“ in Ihre Hände.

Das, was einem Spaß gemacht hat, behält das menschliche Gedächtnis am Besten. Der Spaß kann im Unterrichtsgegenstand selbst stecken, etwa in einer Komödie oder in einem lustigen Gedicht. Humor ist aber auch eine Haltung, die man – wie es Busch vorgemacht hat - gegenüber der Welt bzw. gegenüber den Gegenständen einnimmt. Lernen Sie also Ihr Leben lang weiter mit Lust und Spaß. Bewahren Sie sich als Element Ihrer Kindheit und Jugend Ihren Humor. Denken Sie daran, dass die Mächtigen, die Ideologen, die Medienhäuptlinge und die Sektenbosse nichts mehr fürchten als das befreiende Lachen. Ich erinnere Sie an den alten Fanatiker Jorge in Umberto Ecos „Der Name der Rose“, der aus panischer Angst vor dem Lachen all diejenigen umbringt, die des Aristoteles verschollen geglaubte Schrift über die Komödie den Menschen zugänglich machen wollen. Verlieren Sie also nicht Ihren Humor, aber befolgen Sie nicht unbedingt Woody Allens Rat: „Lieber einen guten Freund verlieren als auf eine gute Pointe verzichten!“ Denn wie wichtig Freundinnen und Freunde sind, sieht man auch in Ihrer Abizeitung, die ja ca. 3500 entsprechende Danksagungen enthält.

Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, ich weiß, dass in Ihrer Generation eine große Kreativität herrscht, dass Sie neue Ideen haben und unkonventionell denken. Sie haben gelernt, einsam, aber auch gemeinsam zu arbeiten, und Sie buchstabieren das Wort Team nicht so: „Toll, ein anderer macht’s!“ Ich danke Ihnen für Ihr vielfältiges Engagement, das unser Schulleben immer wieder bereichert hat, von der politischen Arbeit in der SV und die Mentorentätigkeit über die journalistische Aktivität in der Schülerzeitung RATSIA, Ihre Siege in künstlerischen Wettbewerben und Sportwettkämpfen, die Mithilfe bei der Gestaltung des Schulgebäudes und Ihre Gastfreundschaft gegenüber ausländischen Besuchern bis zur Mitwirkung in den vielen schönen Theaterstücken und Schulkonzerten. Dies alles verdient Dank und Anerkennung. Daher meine Bitte und mein Rat: Machen Sie in diesem Sinne weiter. Engagieren Sie sich in einer politischen Organisation, nehmen Sie teil am gesellschaftlichen und kulturellen Leben, tun Sie mehr, als der Beruf von Ihnen verlangt. Es wird sich auszahlen, obwohl es unbezahlbar ist, und zwar in einem Plus an Anerkennung und Lebensfreude.

Ich wünsche Ihnen Glück und Erfolg im beruflichen und privaten Leben. Denken und kommen Sie ab und zu ans Ratsgymnasium zurück, damit wir erfahren, für welche tollen Karrieren wir den Grundstein gelegt haben. Busch formulierte: „Was man ernst meint, sagt man am besten im Spaß.“ Also merken Sie sich seine folgenden Verse:

„Früher, da ich unerfahren
Und bescheidner war als heute,
Hatten meine höchste Achtung
Andre Leute.
Später traf ich auf der Weide
Außer mir noch mehre Kälber,
Und nun schätz ich, sozusagen,
Erst mich selber.“